Von Schrittzählern und anderen Schritten…

von Silvia Kiser Küchler ,  SDM Mediatorin

Krisen zeigen uns, was Bestand hat. Gerade die Familie oder unsere persönliche Lebensgemeinschaft gewinnt an Bedeutung.

Was nützt mir jedoch mein kleines soziales Umfeld, wenn ich diese Gemeinschaft nicht als hilfreich, ehrlich und kommunikativ erlebe? Im Alltag haben wir den Schrittzähler, welcher uns daran erinnert in Bewegung zu bleiben. Mit Stolz erzählen wir gern, wenn wir auf dem Fitnessgerät mehr als die von der Physiotherapeutin verordneten Übungen schaffen. Doch sprechen wir auch über getane Schritte, wenn es um ein schwieriges Thema geht? Sind wir auch stolz, wenn wir etwas Heikles in unserem Umfeld angesprochen haben? Oder hadern wir vielleicht mit unserer Aktion, weil das Gegenüber mit einem Vorwurf reagiert hat? Warum bewegen wir uns gerade in Familiensituationen wenig aufeinander zu, lassen Alltagsgespräche ins Leere laufen oder ignorieren Zeichen der Unzufriedenheit? Sicher ist es einfacher abzuwarten, oder ins Büro zu flüchten, als verletzte Gefühle anzusprechen.

Gerade in der jetzigen Zeit sind wir gefordert, weiter zu denken und innert kurzer Zeit innovative Lösungen in Beruf und Alltag zu finden. Es gilt Mauern im Kopf zu öffnen. Leicht umsetzbar ist es, eigenes Brot zu backen, Waldkonzerte mit den Kindern zu veranstalten und neue Spazierwege in der näheren Umgebung zu entdecken. Schwieriger wird es in unsere Gesprächskultur zu investieren und festgefahrene Muster zu durchbrechen. Warum nicht gerade jetzt einen bewussten Schritt machen und Unterstützung bei einer Mediatorin holen? Hören wir auf, uns mit nach aussen sichtbarer Harmonie der Nachbarn verrückt zu machen. Mit gegenseitigem Respekt darf doch auch laut diskutiert, Klartext geredet und gestritten werden. So bleiben wir beweglich, lebendig und ehrlich.

Neulich habe ich eine ältere Frau getroffen, welche sehr gelitten hat unter der Funkstille während des Lockdowns im Frühling. Es herrschte Funkstille mit ihrer ältesten Tochter, welche auch schon fast im Rentenalter ist. Nicht geklärte Themen haben sich über Jahre zu einem Schweigen ausgedehnt und türmten sich zu einem unüberwindbaren Berg. Um sich dem Berg anzunähern hat die ältere Dame eine Mediatorin als Vermittlerin beigezogen. Zuerst klärte sie ihre eigenen Fragen und machte dann einen aktiven Schritt auf die Tochter zu. Und siehe da, die Tochter hat gerade diesen ersten Schritt als sehr starkes Zeichen von Ernstgenommen werden, positiv gedeutet. Es ist daraus keine neue Wohngemeinschaft entstanden, jedoch Interesse füreinander und für die versteckten Bedürfnisse. Auf dem gemeinsamen Weg haben beide gegenseitig Anerkennung erhalten. Die alten Verletzungen von jahrelanger Kritik wurden nicht mehr mit Rückzug, Verdrängen und Groll quittiert, sondern mit einer Mediatorin als Wanderleiterin angegangen. Es haben sich neue Wege geöffnet, um sorgsamer aufeinander zuzugehen und miteinander in die Ferne zu blicken. Erwartungen wurden relativiert oder losgelassen. Bei der eingelegten Rast konnten immer wieder Anhaltspunkte für Veränderungen gesammelt werden.

Solche, zum Teil unter grosser Anstrengung gemachten Schritte, werden auf dem Schrittzähler nicht angezeigt und die Physiotherapeutin kann damit auch nicht viel anfangen. Und doch gehören sie auf das Konto der Fürsorge um ausgeglichen und zufrieden ein reifes Alter zu erreichen. Schritte, auf die Sie stolz sein dürfen.

Die Autorin, Silvia Kiser Küchler ist Co-Präsidentin, Mediation im ländlichen Raum und Vorstandsmitglied im Verein Mediation Zentralschweiz. Um ihren Blick zu erweitern, arbeitet sie mit der Gruppe SDM Mediator*innen OW zusammen.